Tongji-Universität

Sonntag, 14. September 2008

Wohnen in der Metropole (II): Studentenwohnheim

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Wie kostbar Wohnraum in einer Metropole wie Shanghai geworden ist, sieht man nicht zuletzt daran, dass überall dort, wo zweigeschossige Häuser abgerissen wurden, ausschließlich Wolkenkratzer aus dem Boden wachsen um die wertvollen Grundstücke so intensiv wie möglich auszunutzen. Für die chinesischen Studenten der Tongji-Universität ist ein Apartment in der Innenstadt unbezahlbar. Die meisten ziehen darum in eines der Studentenwohnheime auf dem Campusgelände, wo sich bis zu acht Studenten ein Zimmer teilen, ohne Heizung, ohne Bad. Wie lebt es sich unter diesen Umständen dauerhaft? Unsere Summer School-Teilnehmerin und Tongji-Studentin Jiang Bei war so nett, mir ihr Wohnheimzimmer zu zeigen.

Die Wohnheime befinden sich auf der Nordseite des Campus-Geländes, dessen Eingang von einem kleinen Wachhäuschen aus beobachtet wird. Bei und ich passieren eine große Statue Maos, die ihren rechten Arm in den Himmel reckt, die gläsernen Neubauten der Universität. Wir gehen vorbei an einer Gartenanlage samt Teich, in dem Schwäne schwimmen, hier, mitten in der lauten dreckigen Stadt. Vor uns taucht ein Nadelwäldchen auf. Dort beginnen die Zeilen der Wohnheime. Vor den langen Fensterreihen der einzelnen Gebäudeblöcke hängen feuchte Wäschestücke schlaff in der schwülen Luft. An der Kleidung kann man erahnen, ob es sich um ein Wohnheim für Frauen oder für Männer handelt - gemischte Blöcke gibt es nicht.
Jeder Eingang ist bewacht. Bevor Bei mir ihr Zimmer zeigen darf, müssen wir uns nebenan im Büro der vorstehenden Wachtfrau melden. Bei lässt ihren Studentenausweis da. Von der Seite fällt ein Blick auf die schwarze Tasche meiner Fotokamera, aber ich darf mit hinein. Noch nicht einmal ihre Familie dürfe sie einfach so auf ihr Zimmer einladen, erzählt mir Bei. Die Flure im Innern des Wohnheims sind kahl, grau und steril. Die Reihen hoher Holztüren mit ihren Oberlichtern erwecken den Eindruck eines Schulgebäudes. Jetzt, mittags in der ersten Woche des neuen Semesters, ist alles ganz leer, obwohl in jedem der sechs Stöcke etwa 20 Zimmer pro Flur liegen. Nur eine Waage und ein schmaler Spiegel im Erdgeschossflur deuten nun auf die knapp 500 Bewohnerinnen hin. Beis Zimmer befindet sich im fünften Stock, gleich gegenüber des Treppenhauses. Einen Fahrstuhl gibt es nicht.
Wir treten ein. Von der Tür blickt man durch den geraden Raum direkt auf das Fenster. An den Längswänden des etwa 20qm² großen Zimmers stehen vier Hochbetten. Unter jedem Schlafplatz befindet sich ein kleiner Kleiderschrank, ein Schreibtisch, eine Kommode und ein Stuhl. Beis Reich liegt rechts vom Fenster. Sie nimmt auf ihrem Schreibtischstuhl Platz. Ein Jahr wohnt sie erst hier, zuvor war sie drei Jahre in einem anderen Gebäude untergebracht. “Es ist gut hier, vorher war ich in einem 6er-Zimmer.” Mit zwei der fünf Mitbewohnerinnen aus dieser Zeit lebt sie auch jetzt noch zusammen.


Mit wem man auf ein Zimmer kommt, wird im ersten Semester von der Universität bestimmt, es sei denn man bewirbt sich vorher gemeinsam mit Freunden. “Man wohnt immer mit den Leuten zusammen, mit denen man auch in eine Klasse geht, damit die Prüfungen zur selben Zeit sind”, erklärt mir Bei. In den Prüfungsphasen gehen viele Studenten sogar nachts in die Bibliothek, auch in den Klassenzimmern sehe dann man abends oft Licht brennen. “Viele treffen sich zum Lernen in den Klassen weil in der Bibliothek nicht genug Platz ist.”

Doch auch wenn man die gleiche Klasse besucht und denselben Stundenplan hat, ist es nicht immer leicht, ein Zimmer zu teilen. “Wir müssen uns anpassen,” sagt Bei über sich und ihre Mitbewohnerinnen. Zum Beispiel, wenn man Musik hören wolle. Auch sei es manchmal lästig, wenn einer schon sehr früh aufstehe und Lärm mache. Im Großen und Ganzen klappe es aber sehr gut und aus dem intensiven Zusammenleben haben sich auch sehr engen Beziehungen entwickelt: “Manche sagen, die Kommilitoninnen an der Uni sind die besten Freunde im ganzen Leben.”
Grundsätzlich steht jedem “Freshman“, der ein Studium an der Universität beginnt, ein Wohnheimplatz zu. Der Raum ist knapp: An der Tongji teilen sich bis zu acht Studenten einen Schlafraum, vor einigen Jahren waren es sogar noch zehn, was an anderen Unis auch heute durchaus noch üblich ist. Dafür sind die Preise unschlagbar niedrig. Für ein ganzes Jahr Unterkunft zahlen die Studenten 800 Yuan Kaltmiete, das sind umgerechnet etwa 80 Euro. Eine Wohnung in der Stadt kostet etwa 2.400 Yuan im Monat - und muss in einer riesigen Metropole wie Shanghai dabei nicht eben zentral liegen. Obwohl Beis Vater in Shanghai arbeitet, wohnt sie selbst im Wohnheim weil der Weg zur Uni zu weit wäre, als dass sie täglich pendeln könnte.
Luxuriös sind die Wohnheime angesichts der günstigen Preisen gewiss nicht: Weil es keine Heizung gibt, können sich Bei und ihre Freundinnen im Winter nur mit kleinen Elektro-Wärmern helfen. “In Beijing gibt es schon Heizungen, aber im Süden muss noch alles renoviert werden.” Pro Flur gibt es nur einen Waschraum - ein gekachelter Saal mit umlaufendem Waschbecken, im anschließenden Raum gibt es Toiletten und zwei kalte Brausen. Wer eine warme Dusche nehmen möchte, muss das Gebäude verlassen. In einem anderen Haus, 5 Minuten von der Uni entfernt, ist es möglich, von 12 Uhr mittags bis zehn Uhr abends zu duschen. Für das warme Wasser zahlt man per Chipkarte eine Gebühr. “Gestern Abend um neun Uhr habe ich 20 Minuten gewartet ” sagt Bei. Auch auf Kochmöglichkeiten müssen die Studenten verzichten.
Anders als in Europa werden in den chinesischen Wohnheimen keine wilden Partys gefeiert. Zum einen fehlt es an Gemeinschaftsräumen, zum anderen dürfen die Bewohner nicht zuviel Lärm machen. Was man sonst so macht? “Wir treffen uns abends auf den Zimmern, zum Karten spielen und zum Unterhalten”, erzählt Bei. Sie selbst wird nun noch ein Jahr im Studentenwohnheim leben. Ob sie froh darüber sei? Eher traurig, so die Antwort: “Das Leben in einem Studentenwohnheim ist doch herrlich.”

Montag, 8. September 2008

Die deutschen Wurzeln der Tongji-Universität

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Dass die Tongji-Universität aus einer Fachhochschule für Medizin hervorging, merkt man ihr an ihrer technisch- naturwissenschaftlichen Ausrichtung noch heute an. Neben Bauingenieurwesen, Medizin und Architektur mag das German Department an der Universität geradezu exotisch anmuten. Es sei denn, man weiß, dass es zwei deutsche Ärzte waren, denen die Hochschule ihre Existenz verdankt.
Im Jahr 1899 gründete die deutsche Ärztevereinigung in Shanghai, damals bestehend aus den zwei Mitgliedern Erich Paulun und von Schab, ein kleines Krankenhaus, in dem arme Chinesen behandelt werden sollten. Obwohl das Tung-Chi Hospital an der Fenyang Lu zunächst lediglich aus zwei Wellbleckbaracken bestand, genoss es bei der Bevölkerung schnell einen so guten Ruf, dass durch Spenden bald ein zweistöckiger Bnacksteinbau errichtet werden konnte, der eine Poliklinik und zwölf Krankenzimmer beherbergte.
Nach dem Abriss des Gebäudes 1920 entstand zwischen 1923 und 1927 das neue Paulun-Hospital, das bis heute als Krankenhaus genutzt wird, auch wenn die Fassade bei einem Umbau 1991 komplett verändert wurde.
1907 gründete Erich Paulun am Hospital die “Deutsche Medizinhochschule für Chinesen”, an der viele deutschsprechende Ärzte und deutsche Professoren tätig waren.
Seit 1912 wurden neben Medizin auch die Fächer Maschinenbau und Elektrotechnik gelehrt, die Hochschule in “Tongji Medizin - und Ingenieursschule” umbenannt. Die Zeichen des chinesischen Namens bedeuten soviel wie “gemeinsam in einem Schiff einen Fluss überqueren”, auch das offizielle Siegel der Universität zeigt ein Schiff, das von mehreren Personen gerudert wird.
Nachdem die deutsche Universität ihren Lehrbetrieb während des ersten Weltkriegs hatte einstellen müssen, in welchem die meisten der rund 3.500 in China lebenden Deutschen ausgewiesen worden waren, eröffneten neue deutsche Dozenten und Tongji-Absolventen außerhalb der Innenstadt in Wusong eine neue Hochschule, der 1927 der rang einer Universität verliehen wurde. Die von dem Architekten Erich Oberlein errichteten Gebäude erlitten während des zweiten Weltkrieges jedoch schwere Schäden durch japanische Bomben.
Egon Erwin Kisch beschrieb das Gelände in “China geheim” 1933: “Eine Fliegerbombe wurde in die Maschinenhalle geworfen, aus Schiffsgeschützen ins Physiologische Institut gepfeffert, ins Auditorium Maximum, in die Klinik und in die Dozentengebäude. In der Mitte des Fußballplatzes sind jetzt zum Scherz und dennoch mit deutscher Gründlichkeit alle Granathülsen aufgestellt wie Kegel.”
Nach der Gründung der VR China 1949 wurde die Universität verkleinert, die Medizinwissenschaften kehrten erst in den 90er Jahren an die Tongji zurück.

Donnerstag, 4. September 2008

Harte Schule

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Das erste Studiensemester bedeutet in China eine harte körperliche Herausforderung. Jedoch nicht, weil wie in Deutschland lange Partynächte, von der Fachschaft organisierte Kennenlern-Tage und Orientierungswochen voller Kneipenbesuche auf dem Programm stehen. Sondern zwei bis vier Wochen militärisches Training.

In Uniformen gekleidet muss jeder neue Unijahrgang täglich im Gleichschritt rennen und marschieren, mitten in der Nacht lange Wanderungen machen oder zum Ausdauerlauf antreten. Hinter ihrer Truppe sei damals ein Wagen hergefahren, der jene eingesammelt habe, die vor Anstrengung zusammengebrochen seien, so hat mir eine unserer Studentinnen erzählt. Elterbesuch ist während der kräfteraubenden Ausbildung nicht erwünscht, ebenso wenig, dass die Stundenten über das Wochenende nach Hause fahren.
Der Drill hat keinen militärischen Hintergrund - vielmehr sollen sich die Studenten so in Zusammenhalt und Disziplin üben. Ob deutsche Bachelor-Studenten ihren Lernstress so besser bewältigen könnten?

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