Anting New Town heißt die von dem Frankfurter Architektenbüro Albert Speer und Partner neu konzipierte Wohnort, in dem bis zu 80.000 Bewohner Platz finden sollen und dessen Gebäude nach dem Vorbild einer “typisch deutschen” mittelalterlichen Stadt kreisförmig um einen zentralen Platz organisiert wurden. Im Detail hat der Entwurf jedoch nichts mit Kopfsteinplaster und Fachwerkromantik gemein sondern wartet vielmehr mit der Atmosphäre eines vorstädtischen Neubaugebietes auf: Man erblickt breite, von niedrigen Bordsteinen gesäumte Straßen, gerahmt von noch jungen, akkurat gezüchteten Bäumchen und Vorgärten, soweit das Auge reicht. Die von Giebeldächern gekrönten Häuserreihen tragen glatte, bunte Fassaden zur Schau.
Damit es nicht zu klinisch wird, wurden Inseln typisch deutscher Heimeligkeit geschaffen. Oder das, was man dafür hält: Eine “deutsche” Bäckerei verkauft “Vollcornbread”, malerisch gelegen in einer der vier Straßen, welche direkt auf ein rund drei Meter hohes Goethe und Schiller-Denkmal zuführen. Auf dem Platz davor herrscht jedoch nur wenig Leben.
Durch die matten Glasscheiben vieler anderer Ladenlokale lassen sich nur nackte Betonwände und heraushängende Kabel ausmachen. Sie stehen noch leer, ebenso wie viele der Wohnhäuser.
Dass Anting New Town ein wenig einer Geisterstadt gleicht, liegt daran, dass zahlreiche Gebäude von Spekulanten erworben wurden. Wieviel der rund 60 km² Wohnfläche bereits tatsächlich verkauft sind, wollte man uns bei einer halbstündigen Präsentation des Modellbaus in der „Weimar Villa“ nicht verraten. Die Stadt sei ja schließlich sehr groß, da verliere man die Übersicht, so die Antwort auf unsere Frage. Schulen und Kindergärten gibt es bisher jedenfalls kaum. Auch der S-Bahn-Anschluss, der die Stadt einmal mit Shanghai verbinden soll, fehlt noch.
Dass bisher nur ein Teil der Wohnungen verkauft ist, mag aber nicht nur an der erst im Ansatz vorhandenen Infrastruktur liegen sondern auch wirtschaftliche Gründe haben: Als wir eines der mit Doppelglasfenstern ausgestatteten Häuser besichtigen, entpuppt sich das, was als “typisch deutsch” gehandelt wird, als Mischung von bunten Kronleuchtern, großzügigen Bädern, glänzend polierten Einbaumöbeln und kubischen Designerssofas: Viel Glas, viel Licht, viel Platz.
Für Chinesen werden diese Wohnungen kaum erschwinglich sein: Sie sind vor allem für Ausländer gedacht, welche in der Autostadt Anting arbeiten, dem Standort von Shanghai Volkswagen nahe dessen sich Chinas erste Formel-Eins-Strecke erstreckt. Die Bewohner von Anting New Town, so sie denn einmal einziehen, werden reich sein, weit entfernt vom chinesischen Mittelstand. Davon zeugen schon jetzt die Überwachungskameras und zahlreichen Wachposten, die an den vielen wohlbehüteten Durchfahrtstoren Präsenz zeigen.
Erste Eindrücke beider Seiten:
Die Begrüßung aller Teilnehmer durch Dr. Sven Sappelt. Der erste Vortrag der Summer School: "Zur Selbst - und Fremdwahrnehmung des Chinesischen und des Deutschen: Konzepte von Funktion und Ästhetik und die hybride (?) Idee der Anting New Town", gehalten von Prof. Dr. Stefan Kramer. Antworten aus chinesischer und aus deutscher Sicht in Form zweier weiterer Vorträge lieferten im Anschluss Li Yiting und Muriel Schindler.
20 Teilnehmerinnen aus China, acht Referenten und Referentinnen aus Deutschland, 13 Tage, eine Stadt. Im German Department der Tongji Universität hat gestern die Summer School Shanghai begonnen.
Doch wir sollten den Tag nicht allein im Universitätsgebäude verbringen: Nach einem Eröffnungsvortrag von Prof. Dr. Stefan Kramer und Co-Vorträgen von Li Yiting und Muriel Schindler haben wir gleich unsere erste Busreise angetreten, um Shanghais Umgebung kennen zu lernen. Genauer: Die von deutschen Architekten konzipierte Anting New Town, eine Sattelitenstadt eine halbe Busstunde von Shanghai entfernt gelegen, welche in ihrem kreisförmigen Grundriss und den Hausformen einer "typisch deutschen Stadt" nachempfunden ist und in naher Zukunft vor allem Mitarbeitern der dort ansässigen Automobilindustrie als Wohnsitz dienen soll.