Dienstag, 2. September 2008

Seminar: Architektur als Menschenformungsprogramm

koschorke-klein
Die moderne Architektur, die sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts ihren Durchbruch bahnte, leitete mehr als eine rein geschmackliche Wende ein: In ihrem Formvokabular der Sachlichkeit, Sauberkeit und klaren Linien fand ein neues Menschenbild seinen Ausdruck, welches sowohl dem Spießbürgertum als auch der Dekadenz seiner Zeit eine klare Absage erteilte. Weder individuelle Einrichtungsgegenstände noch weit ausladende Reifröcke fanden in den neuen minimalistischen Inneneinrichtungen Platz, in denen gar Bilder als "Störung" der Wand, die nach japanischem Vorbild weiß bleiben sollte, empfunden wurden.
Sachlich, so stellten sich die Architekten auch den neuen Bürger vor, der ihre Werke bewohnen sollte, wie es aus einem Zitat Bruno Tauts hervorgeht: "Das Innere des Hauses, das Leben seiner Bewohner, muss [...] in Sauberkeit und Klarheit verlaufen, sonst kann es nie zu einer wirklichen Architektur kommen."
Eine aktuelle Frage, die sich aus dem Seminar ergab:
Welches Menschenbild verkörpern die Wolkenkratzer Shanghais?

Alltag: Busfahren auf Chinesisch

busfahrer1

“Viele Chinesen sind Chaosmagneten. Wo das Straßenbauamt in anderen Ländern Mittelstreifen malt, stellt es in Peking Zäune auf- die einzige Möglichkeit, die motorisierten Anarchisten auf ihrer Spur zu halten”, so schreibt Kai Strittmatter in seiner “Gebrauchsanleitung für China“. Selbstverständlich sind wir hier, um uns unbeeinflusst solch klischeeorientierter Deskriptionen ein eigenes Bild zu machen. Auch, wenn letztendlich dann doch alles ist, wie es im Reiseführer steht.
So unser Busfahrer, welcher samtens blümchenmusterplüschgepolstertertem Reisebus bestellt war, um uns von der Universität aus nach Anting New Town zu fahren. Abgesehen von einigen unsanften Bremsmanövern machte er das wunderbar- bis die Stadt in Sicht war. Als wir deren Höhe erreicht hatten, blieb er nämlich einfach weiter auf die Autobahn. Immerhin war die Handlung vage begründet: Er wollte noch einen Führer abholen, der längst abgesprungen war.

busstecktfest

Auf der Rückfahrt nach Shanghai fuhren wir nicht zu weit. Was allerdings daran lag, dass unser Fahrer unter einer für unseren Bus zu niedrigen Brücke hindurchwollte. Beziehungsweise hindurchführen wollte: Nach wenigen Metern, gefühlten 20 Sekunden ohrenbetäubender Kratzgeräusche, begleitet von ersten Dellen im Dach, steckten wir fest.
Ruhe bewahren. Dachten wir. Vielleicht die Luft aus den Ventilen lassen. Problemlösung auf chinesische Art: Mitten im Treiben des Stadtverkehrs nach hinten zurücksetzen bis man schon fast wieder unter dem Brückeneingang weg ist - und dann, alle guten und gut gemeinten Ratschläge ignorierend, abermals kräftig nach vorne setzen.
Nach zwanzig Minuten gaben wir auf und stiegen aus, zum Glück steckte der Bus wenigstens in der Nähe des Restaurants fest, in dem wir reserviert hatten. Als die ersten von uns nach zwei Stunden zurückkehrten steckte der Bus immer noch fest, trotz Luft aus den Ventilen lassen. Die entscheidende Hilfe kam später von Frau Kang und einigen Studentinnen, die dem Busfahrer nicht nur Essen mitbrachten, sondern sich auch wieder gesammelt in den Bus hineinsetzten. Nun, endlich, war er niedrig genug, um unter der Brücke wegzukommen.

Denk ich an Deutschland....

Wir selbst überprüfen seit einem Tag fleißig, ob unsere Vorstellungen von China mit der Realität übereinstimmen.
Aber was denken Chinesen eigentlich, wenn sie "Deutschland" hören? Land der Ideen, Goethe... oder doch nur Sissi und Oktoberfest?
Wir haben uns umgehört.

Denk ich an Deutschland, denk ich an...

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