Donnerstag, 4. September 2008

Seminar: Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny

netzestadt-klein
Wie lässt sich das Gefühl der Fremdheit in einer großen Stadt darstellen?
Brechts “Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny” wählt dafür die Mittel des epischen Theaters. Mahagonny, die “Netzestadt”, liegt an keinem bestimmten Ort. Die Geschichte über den Aufstieg und die Zerstörung einer Dienstleistungsmetropole könnte überall spielen. Sie erzählt von einer Gesellschaft, die sich aufgibt, damit die Bedürfnisse des Einzelnen rücksichtslos befriedigt werden können. Alles ist erlaubt, nur kein Geld zu haben, gilt als Verbrechen. Wie aktuell diese Geschichte für die junge Generation im heutigen China ist, wurde in der Seminardiskussion rasch deutlich. Zunächst gab Professor Weitin einen Überblick über die Geschichte des Theaters in Deutschland und erläuterte die spezifischen Merkmale von Brechts theatraler Verfremdung. Dieser Begriff spielte in der anschließenden Textanalyse die zentrale Rolle. Thematisch vertieft wurden bei der gemeinsamen Lektüre die Begriffe “Ordnung”, “Geld” und “Religion”.


[…] Ihr bekommt leichter das Gold von Männern als das von Flüssen!
Darum laßt uns hier eine Stadt gründen
Und sie nennen Mahagonny
Das heißt: Netzestadt!
Sie soll sein wie ein Netz
Das für die eßbaren Vögel gestellt wird.
Überall gibt es Mühe und Arbeit
Aber hier gibt es Spaß.
Denn es ist die Wollust der Männer
Nicht zu leiden und alles zu dürfen.
Das ist der Kern des Goldes.
Gin und Whisky
Mädchen und Knaben.
Und eine Woche ist hier: sieben Tage ohne
Arbeit
Und die großen Taifune kommen nicht bis
hierher.


Auszug aus: Bertolt Brecht, Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny. In: Bertold Brecht, Stücke. Band 2, Berlin, Seite 171.

Harte Schule

soldaten
Das erste Studiensemester bedeutet in China eine harte körperliche Herausforderung. Jedoch nicht, weil wie in Deutschland lange Partynächte, von der Fachschaft organisierte Kennenlern-Tage und Orientierungswochen voller Kneipenbesuche auf dem Programm stehen. Sondern zwei bis vier Wochen militärisches Training.

In Uniformen gekleidet muss jeder neue Unijahrgang täglich im Gleichschritt rennen und marschieren, mitten in der Nacht lange Wanderungen machen oder zum Ausdauerlauf antreten. Hinter ihrer Truppe sei damals ein Wagen hergefahren, der jene eingesammelt habe, die vor Anstrengung zusammengebrochen seien, so hat mir eine unserer Studentinnen erzählt. Elterbesuch ist während der kräfteraubenden Ausbildung nicht erwünscht, ebenso wenig, dass die Stundenten über das Wochenende nach Hause fahren.
Der Drill hat keinen militärischen Hintergrund - vielmehr sollen sich die Studenten so in Zusammenhalt und Disziplin üben. Ob deutsche Bachelor-Studenten ihren Lernstress so besser bewältigen könnten?

Recycling

Alte Werbebanner, umfunktioniert zur Überdachung von kleinen Geschäften. Gesehen in einem alten Viertel nahe der Siping-Road.

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Wohnen in der Metropole (I): Lilongs

Chinesisch- westliche Arbeiterhäuser

klein
Einfache Arbeiterhäuser nach dem Vorbild der Industriegebiete Manchesters und Londons schwebten Sir Harry Smith Parkes vor, als er in seiner Amtszeit als britischer Konsul in Shanghai von 1858 bis 1865 mit dem Bau der ersten “Lilong”-Anlang begann. Das Wort steht für “Nachbarschaft“, “long” alleine für “kleine Gasse”. Im Shanghai-Dialekt werden die Bauten auch “Ziling”, “Fischgrätenhäuser”, genannt weil sie so eng aneinander liegen.
Smith Parkes hatte mit dem Bau von Lilongs begonnen, um seine Konzession vor dem Verkommen zu bewahren. Während der Taiping-Revolution waren Tausende Chinesen in die ausländischen Niederlassungen geflohen. Bald investierten auch große Shanghaier Firmen wie Jardine’s und Sassoon in den Bau der neuen Wohnanlagen, der Baustoff Holz wurde durch Backstein ersetzt.
“Lilongs stellen eine “Kreuzung” aus einem westlich städtischen Reihenhaus und einem traditionell chinesischem Wohnhaus mit einem von drei Seiten ummauerten Innenhof dar. Um Sicherheit und Ruhe zu schaffen, wurden die Anlagen durch hohe Mauern oder Ladenzeilen abgeschirmt. Ihre namen haben meist etwas Verheißungsvolles und lassen an Glück, langes Leben, Wohlstand oder Erfolg denken […]. Doch wie bei den meisten Wohnanlagen standen vielfach praktische Überlegungen im Vordergrund. So ergab sich z.B. die Raumbreite aus der Länge des verwendeten Bauholzes. Seit dem späten 19. Jahrhundert wurde vornehmlich importierte Oregon-Kiefer eingesetzt, daher betrug die Breite der Räume in der Regel zwischen 3,65 und 4,20 Meter.[…] Im Lauf der Jahrzehnte veränderten die Lilongs ihr Gesicht. Bei den Anlagen alten Stils, wie sie zwischen den 1870ern und den 1930ern gebaut wurden, vermittelt das Eingangstor, der Shikumen, das Gefühl einer gewissen Privatheit. […] Der Gestaltung des Türsturzes wurde- ähnlich wie bei einem traditionellen Haus der chinesischen Oberschicht- große Sorgfalt entgegengebracht. […] Nach dem 1. Weltkrieg entwickelte sich der Lilong “neuen Stils”. Shikumen fehlen und sind durch Gittertüren ersetzt. […] Auch nach der Gründung der Volksrepublik setzte sich die Lilong-Bauweise fort, nur wurden die Häuser höher, die Baumaterialien änderten sich bis hin zur “sozialistischen Platte”.”(Steffi Schmitt, Shanghai Promenade, Hongkong 2003, S. 71 f.)
Zeitweise machten die Häuser rund 65 Prozent der Shanghaier Bausubstanz aus, in den 40er Jahren lebten mit zwei Millionen die Hälfte aller Shanghaier in Lilongs, in den 80er Jahren waren es zweieinhalb Millionen. Obwohl die Lilongs von außen romantisch anmuten, sind die Wohnbedingungen im Inneren oft schlecht, weil Küche und Bad fehlen und der Wohnraum zu eng ist. Weil kaum eine Anlage unter Denkmalschutz steht, verschwinden die Siedlungen seit den 80er Jahren zunehmend. Die neuen, modernen Wohnblöcke, welche sie ersetzen sollen, befinden sich häufig außerhalb der Stadt.

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