Hybridisierung in China
In dem nachfolgenden Blog-Eintrag fasst Prof. Dr. Albrecht Koschorke seine gesammelten Eindrücke zum Thema der Summer School zusammen.
Im Rückblick war es auffällig, dass mit dem Schlüsselbegriff in der Ankündigung der Summer School, nämlich Hybridisierung, von chinesischer Seite niemand etwas anfangen konnte. Das lag nicht nur an den erheblichen sprachlichen und theoretischen Hürden. ‚Hybridisierung‘ selbst, verstanden als Konzept, schien keinerlei Interesse zu finden. Wenn Shanghai als Stadt für den Aufbruch Chinas exemplarisch ist, dann steht auf allen Ebenen, und zwar vollkommen eingestandenermaßen, das Prinzip der Nachahmung im Vordergrund. Nachgeahmt werden westliche Kleidung (und zwar, jedenfalls was die Frauenmode angeht, in einer eher bourgeoisen Ausprägung, wie im Paris der siebziger Jahre), Lebensstil, Konsumverhalten, Musik – alles zu haben: von Softpop mit Sonnenuntergängen und rosa Herzen bis hin zum Rap, nur dass den zart gebauten chinesischen Sängern der schwarze Ghetto-Look nicht richtig gelingt (Beobachtung von Eva Esslinger) –, Ikonographie (etwa das geschlechtslose Maskottchen der Expo 2010), Wohnformen, Automobilität, Stadtarchitektur. Aus all diesen Dingen spricht ein enormes Bedürfnis nach Anerkennung durch den Westen, und zwar gerade im Hinblick darauf, mit ihm gleichzuziehen, ihm ähnlich zu sein.
Das vorherrschende Gefühl, wenn man durch die Stadt fährt, ist ein Gefühl des déjà-vu. Schon die ‚traditionelle‘ Lebensweise in den Hofhäusern findet ja in Grundrissen und nach Modellen der Kolonialzeit statt; das bunte Straßenleben erinnert, bis auf die Schrift und ein paar rote Lampions, an das Treiben in europäischen Innenstadtgassen. Die Neubauviertel lassen an die europäischen Bausünden der siebziger und achtziger Jahre denken – Wohnblöcke, soweit das Auge reicht. Ein global gewordenes Gelsenkirchen, oder, in den größeren Dimensionen, französische Banlieues. Wolkenkratzer und moderne Pomp-Architektur wie in den meisten amerikanischen Großstädten, und an die USA erinnert auch der unendliche urbane Sprawl, der sich gestaltlos und offenbar weitgehend unkoordiniert nach allen Seiten ausdehnt. Die Mustersiedlungen, die für den neuen Mittelstadt in der Peripherie Shanghais entstehen, kopieren britische, holländische, deutsche Modelle. Das alles erzeugt, von außen betrachtet, pausenlos Effekte von Hybridisierung, aber das zugrunde liegende Programm heißt ganz klar: Assimilation.
Dem europäischen Touristen, in seinem Begehren nach einer irgendwie authentischen Alterität leise enttäuscht, liegt dann immer die Frage nach dem ‚Eigenen‘ der chinesischen Kultur und nach der Bewahrung ihrer alten Substanz auf den Lippen. Die chinesischen Gastgeber akzeptieren dies als ein Thema und Problem, aber man weiß nicht recht, ob sie es nicht wiederum aus mimetischer Höflichkeit tun. Shanghai weist inzwischen eine Reihe von denkmalgeschützten Arealen aus, und im Großraum gibt es Venedig-artige Kanalstädtchen, die mit ihrem kostümierten Personal wie ein Freilichtmuseum hergerichtet sind. ‚Auch wir pflegen unsere Altertümer.‘
Es muss verwirrend sein, wenn man bei der Aufholjagd einer nachholenden Modernisierung in einigen urbanen Zentren endlich gleichzieht, und dann kommen Europäer daher, schauen bedenklich und fragen: Wo sieht man eigentlich eure chinesischen Traditionen? (Was ja letztlich auf einen nostalgischen Nationalismus im Stil des 19. Jahrhunderts hinausläuft.) Und wenn man mit Stolz auf die Skyline von Pudong zeigt oder durch gigantische Shopping Malls führt und sagt: ‚Wir sind wie Ihr, auch bei uns gibt es jetzt C&A‘, um als Reaktion eine Theorie der Hybridisierung zu ernten.
Ethnologisch gesehen, ist das Begehren der Touristen viel rätselhafter als das Begehren der Einheimischen, die zum Objekt des touristischen Blicks gemacht werden.
Im Rückblick war es auffällig, dass mit dem Schlüsselbegriff in der Ankündigung der Summer School, nämlich Hybridisierung, von chinesischer Seite niemand etwas anfangen konnte. Das lag nicht nur an den erheblichen sprachlichen und theoretischen Hürden. ‚Hybridisierung‘ selbst, verstanden als Konzept, schien keinerlei Interesse zu finden. Wenn Shanghai als Stadt für den Aufbruch Chinas exemplarisch ist, dann steht auf allen Ebenen, und zwar vollkommen eingestandenermaßen, das Prinzip der Nachahmung im Vordergrund. Nachgeahmt werden westliche Kleidung (und zwar, jedenfalls was die Frauenmode angeht, in einer eher bourgeoisen Ausprägung, wie im Paris der siebziger Jahre), Lebensstil, Konsumverhalten, Musik – alles zu haben: von Softpop mit Sonnenuntergängen und rosa Herzen bis hin zum Rap, nur dass den zart gebauten chinesischen Sängern der schwarze Ghetto-Look nicht richtig gelingt (Beobachtung von Eva Esslinger) –, Ikonographie (etwa das geschlechtslose Maskottchen der Expo 2010), Wohnformen, Automobilität, Stadtarchitektur. Aus all diesen Dingen spricht ein enormes Bedürfnis nach Anerkennung durch den Westen, und zwar gerade im Hinblick darauf, mit ihm gleichzuziehen, ihm ähnlich zu sein.
Das vorherrschende Gefühl, wenn man durch die Stadt fährt, ist ein Gefühl des déjà-vu. Schon die ‚traditionelle‘ Lebensweise in den Hofhäusern findet ja in Grundrissen und nach Modellen der Kolonialzeit statt; das bunte Straßenleben erinnert, bis auf die Schrift und ein paar rote Lampions, an das Treiben in europäischen Innenstadtgassen. Die Neubauviertel lassen an die europäischen Bausünden der siebziger und achtziger Jahre denken – Wohnblöcke, soweit das Auge reicht. Ein global gewordenes Gelsenkirchen, oder, in den größeren Dimensionen, französische Banlieues. Wolkenkratzer und moderne Pomp-Architektur wie in den meisten amerikanischen Großstädten, und an die USA erinnert auch der unendliche urbane Sprawl, der sich gestaltlos und offenbar weitgehend unkoordiniert nach allen Seiten ausdehnt. Die Mustersiedlungen, die für den neuen Mittelstadt in der Peripherie Shanghais entstehen, kopieren britische, holländische, deutsche Modelle. Das alles erzeugt, von außen betrachtet, pausenlos Effekte von Hybridisierung, aber das zugrunde liegende Programm heißt ganz klar: Assimilation.
Dem europäischen Touristen, in seinem Begehren nach einer irgendwie authentischen Alterität leise enttäuscht, liegt dann immer die Frage nach dem ‚Eigenen‘ der chinesischen Kultur und nach der Bewahrung ihrer alten Substanz auf den Lippen. Die chinesischen Gastgeber akzeptieren dies als ein Thema und Problem, aber man weiß nicht recht, ob sie es nicht wiederum aus mimetischer Höflichkeit tun. Shanghai weist inzwischen eine Reihe von denkmalgeschützten Arealen aus, und im Großraum gibt es Venedig-artige Kanalstädtchen, die mit ihrem kostümierten Personal wie ein Freilichtmuseum hergerichtet sind. ‚Auch wir pflegen unsere Altertümer.‘
Es muss verwirrend sein, wenn man bei der Aufholjagd einer nachholenden Modernisierung in einigen urbanen Zentren endlich gleichzieht, und dann kommen Europäer daher, schauen bedenklich und fragen: Wo sieht man eigentlich eure chinesischen Traditionen? (Was ja letztlich auf einen nostalgischen Nationalismus im Stil des 19. Jahrhunderts hinausläuft.) Und wenn man mit Stolz auf die Skyline von Pudong zeigt oder durch gigantische Shopping Malls führt und sagt: ‚Wir sind wie Ihr, auch bei uns gibt es jetzt C&A‘, um als Reaktion eine Theorie der Hybridisierung zu ernten.
Ethnologisch gesehen, ist das Begehren der Touristen viel rätselhafter als das Begehren der Einheimischen, die zum Objekt des touristischen Blicks gemacht werden.
CLuetkemeier, 19. September, 11:38
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