Exkursion: Lingang New City (I)
Idee und Form oder: Anti-Anting
Ein ins Wasser fallender Tropfen, um den herum sich konzentrische Wellen bilden - dieses Bild ist das architektonische Leitmotiv für Lingang New City. In der etwa eine Autostunde von Shanghai entfernten Reißbrettstadt sollen einmal bis zu 800. 000 Menschen leben - mehr als doppelt soviel wie ursprünglich geplant. Sie wurde als Hafenstadt zum internationalen Containerhafen Yangshan konzipiert, mit welchem sie durch eine 30 km lange Brücke über das Meer verbunden wird. Erste Anwohner haben sich bereits niedergelassen - obwohl der Großteil der Anlage noch im Bau begriffen ist und über weite Strecken nur Stahlgerüste und tiefe Gräben das Bild prägen.
Wenn eine Stadt den Ehrgeiz demonstriert, mit welchem im Moment in und um Shanghai gebaut wird, dann Lingang New City. Das gesamte Gelände - immerhin 294 km² groß - ist aus dem Nichts auf eigens aufgeschüttetem Meeresgrund entstanden. Der kreisrunde See, der einen Durchmesser von 2,5 km hat, ist dennoch aus Süßwasser: Er wird aus den Flüssen der Umgebung gespeist und soll die Stadt mit Trinkwasser versorgen. Und als attraktives Urlaubsziel für Bootsfahrer und Wasserskiläufer dienen. Die Ufer des Sees sollten ursprünglich von Sandstränden gesäumt werden - doch die Shanghaier Stadtplanung lehnte ab. Stattdessen dienen nun Gehwege aus hellgrauen, fein säuberlich verlegten Steinplatten als Uferpromande. Ob das nicht gefährlich sei mit den ganzen Wegen am Wasser so ganz ohne Geländer, fragt eine der chinesischen Studentinnen. Man könne doch reinfallen. An den metallenen Pfahl eines “Baden-Verboten”- Schildes schmatzt Wasser.
Als wir hier, im Herzen der Stadt unseren Besichtigungsspaziergang beginnen, sind wir nicht die einzigen Touristen. Auch viele Chinesen spazieren am Ufer entlang, die sich interessiert die auf Schautafeln präsentierten Stadtpläne anschauen und eifrig Fotos voneinander machen. Und den als “singende Steine” getarnten Lautsprechern lauschen, welche die Promenade nicht nur mit zuckersüßem chinesischen Pop auch Informationsbeiträge über die Stadt beschallen.
Im Gegensatz zu Anting New Town interessieren sich nicht nur Investoren für die neue Stadt. Schon jetzt organisiert ein Reisebüro Busreisen hierhin. Viele Chinesen kommen bereits jetzt am Wochenende hierher, um sich an der frischen Seeluft vom Smog der Stadt zu erfrischen und im leichten Wind Drachen steigen zu lassen, erzählt man uns. Andere einfach, um die gigantische Baustelle zu besichtigen. Wir machen eine Pause im einzigen Restaurant weit und breit, mit Blick aufs Meer, pardon: Den Kunst-See. Es ist zwei Uhr nachmittags, von hoch oben ertönt plötzlich der Klang von Big Ben. Den fand man für die etwa zehn Meter von uns entfernt stehende große Turmuhr wohl besonders schön.
Im ersten, 2007 fertig gestellten, Wohnviertel beherbergt Lingang New City bereits 80.000 Einwohner. Schon jetzt haben zwei Universitäten ihren Betrieb aufgenommen: Die Marine-Fakultät der Tongji-Universität und eine Hochschule für Fischerei. Von dem riesigen, eben erst fertig gestellten Rathaus wird nun die gesamte Provinz verwaltet. Auch die zunehmend von weißen Platten bedeckten Stahlskelette der riesigen Dachschalen, welche das zukünftige Maritime Museum krönen sollen, gewinnen immer mehr an Form.
Lingang New City ist am Reißbrett des Büros Gerkan, Marg und Partner (GMP) entstanden. Die Hamburger Star-Architekten, welche in Deutschland unter anderem mit den Bau des Berliner Hauptbahnhofs betraut worden waren, hatten sich mit ihrer Idee vor sieben Jahren in einem internationalen Wettbewerb durchsetzen können. Bereits 2003 wurden ihre ursprünglichen Pläne erweitert, um mehr Einwohnern Platz zu bieten.
Ob die Verantwortung für so viele Menschen es einen nicht mulmig werden lasse? Der Architekt Alexander Schober, Mitarbeiter des GMP-Büros in Shanghai, schüttelt leicht den Kopf. Schließlich kann man nichts voraussehen, sondern nur auf die Umsetzung der Gesamt-Idee vor Ort achten.
Leider laufe in Detail nicht immer alles so, wie man es sich wünsche, erzählt er. “Die neuesten Sachen, die jetzt gebaut werden, entsprechen nicht unserem Plan.“ Das betreffe die Qualität der Materialien. Details, wie Brücken, die zu niedrig ausfallen und deren Flucht nicht gerade mit einer Häuserfront dahinter abschließt. Oder ganze Viertel, die ursprünglich nach dem Vorbild von Berliner Kasernenbauten mit einem mittigen Innenhof für alle errichtet werden sollten. Blickt man jede auf ein aktuelles Stadtmodell, lassen sich stattdessen nur jene durch anonyme Grünflächen getrennte, parallel verlaufende Hochhäuserreihen erkennen, die jedem Bürgermeister in Deutschland inzwischen Bauchschmerzen bereiten. Aber da sei derzeit nichts zu machen. Die Nord-Süd-Ausrichtung der Wohnungen ist ein Muss, ost-westlich ausgerichtete Wohnungen würde niemand kaufen, fürchten die Chinesen. Also können die Zeilen nur in langen Blöcken hintereinander stehen.
Wir schließen unseren Ausflug mit einem Panorama-Blick vom Dach des Rathaustums ab. Noch schweifen die Augen über viel unerschlossenes Bauland, braune und grüne Ebenen, einsame Straßen und halb hochgezogene Gebäude. Selbst mit viel Fantasie ist es noch schwer, sich vorzustellen, wie Stadt einmal genau aussehen wird im Jahr 2020, wenn sie fertig sein soll. Im Gegensatz zu Anting New Town hat man jedoch das vage Gefühl, dass ihre Verwirklichung könnte. Wie Anting New Town ist Lingang eine Reißbrettstadt, von deutscher Hand entworfen. Anders als in Anting wird jedoch nicht einfach ein äußerer europäischer Formenkanon kopiert, sondern vielmehr die Idee einer idealen Stadt ganzheitlich umgesetzt. So formuliert auch das Architektenbüro GMP selbst: “Unser Konzept von Lingang New City greift die Ideale der tradierten europäischen Stadt auf.”
Ein ins Wasser fallender Tropfen, um den herum sich konzentrische Wellen bilden - dieses Bild ist das architektonische Leitmotiv für Lingang New City. In der etwa eine Autostunde von Shanghai entfernten Reißbrettstadt sollen einmal bis zu 800. 000 Menschen leben - mehr als doppelt soviel wie ursprünglich geplant. Sie wurde als Hafenstadt zum internationalen Containerhafen Yangshan konzipiert, mit welchem sie durch eine 30 km lange Brücke über das Meer verbunden wird. Erste Anwohner haben sich bereits niedergelassen - obwohl der Großteil der Anlage noch im Bau begriffen ist und über weite Strecken nur Stahlgerüste und tiefe Gräben das Bild prägen.
Wenn eine Stadt den Ehrgeiz demonstriert, mit welchem im Moment in und um Shanghai gebaut wird, dann Lingang New City. Das gesamte Gelände - immerhin 294 km² groß - ist aus dem Nichts auf eigens aufgeschüttetem Meeresgrund entstanden. Der kreisrunde See, der einen Durchmesser von 2,5 km hat, ist dennoch aus Süßwasser: Er wird aus den Flüssen der Umgebung gespeist und soll die Stadt mit Trinkwasser versorgen. Und als attraktives Urlaubsziel für Bootsfahrer und Wasserskiläufer dienen. Die Ufer des Sees sollten ursprünglich von Sandstränden gesäumt werden - doch die Shanghaier Stadtplanung lehnte ab. Stattdessen dienen nun Gehwege aus hellgrauen, fein säuberlich verlegten Steinplatten als Uferpromande. Ob das nicht gefährlich sei mit den ganzen Wegen am Wasser so ganz ohne Geländer, fragt eine der chinesischen Studentinnen. Man könne doch reinfallen. An den metallenen Pfahl eines “Baden-Verboten”- Schildes schmatzt Wasser.
Als wir hier, im Herzen der Stadt unseren Besichtigungsspaziergang beginnen, sind wir nicht die einzigen Touristen. Auch viele Chinesen spazieren am Ufer entlang, die sich interessiert die auf Schautafeln präsentierten Stadtpläne anschauen und eifrig Fotos voneinander machen. Und den als “singende Steine” getarnten Lautsprechern lauschen, welche die Promenade nicht nur mit zuckersüßem chinesischen Pop auch Informationsbeiträge über die Stadt beschallen.
Im Gegensatz zu Anting New Town interessieren sich nicht nur Investoren für die neue Stadt. Schon jetzt organisiert ein Reisebüro Busreisen hierhin. Viele Chinesen kommen bereits jetzt am Wochenende hierher, um sich an der frischen Seeluft vom Smog der Stadt zu erfrischen und im leichten Wind Drachen steigen zu lassen, erzählt man uns. Andere einfach, um die gigantische Baustelle zu besichtigen. Wir machen eine Pause im einzigen Restaurant weit und breit, mit Blick aufs Meer, pardon: Den Kunst-See. Es ist zwei Uhr nachmittags, von hoch oben ertönt plötzlich der Klang von Big Ben. Den fand man für die etwa zehn Meter von uns entfernt stehende große Turmuhr wohl besonders schön.
Im ersten, 2007 fertig gestellten, Wohnviertel beherbergt Lingang New City bereits 80.000 Einwohner. Schon jetzt haben zwei Universitäten ihren Betrieb aufgenommen: Die Marine-Fakultät der Tongji-Universität und eine Hochschule für Fischerei. Von dem riesigen, eben erst fertig gestellten Rathaus wird nun die gesamte Provinz verwaltet. Auch die zunehmend von weißen Platten bedeckten Stahlskelette der riesigen Dachschalen, welche das zukünftige Maritime Museum krönen sollen, gewinnen immer mehr an Form.
Lingang New City ist am Reißbrett des Büros Gerkan, Marg und Partner (GMP) entstanden. Die Hamburger Star-Architekten, welche in Deutschland unter anderem mit den Bau des Berliner Hauptbahnhofs betraut worden waren, hatten sich mit ihrer Idee vor sieben Jahren in einem internationalen Wettbewerb durchsetzen können. Bereits 2003 wurden ihre ursprünglichen Pläne erweitert, um mehr Einwohnern Platz zu bieten.
Ob die Verantwortung für so viele Menschen es einen nicht mulmig werden lasse? Der Architekt Alexander Schober, Mitarbeiter des GMP-Büros in Shanghai, schüttelt leicht den Kopf. Schließlich kann man nichts voraussehen, sondern nur auf die Umsetzung der Gesamt-Idee vor Ort achten.
Leider laufe in Detail nicht immer alles so, wie man es sich wünsche, erzählt er. “Die neuesten Sachen, die jetzt gebaut werden, entsprechen nicht unserem Plan.“ Das betreffe die Qualität der Materialien. Details, wie Brücken, die zu niedrig ausfallen und deren Flucht nicht gerade mit einer Häuserfront dahinter abschließt. Oder ganze Viertel, die ursprünglich nach dem Vorbild von Berliner Kasernenbauten mit einem mittigen Innenhof für alle errichtet werden sollten. Blickt man jede auf ein aktuelles Stadtmodell, lassen sich stattdessen nur jene durch anonyme Grünflächen getrennte, parallel verlaufende Hochhäuserreihen erkennen, die jedem Bürgermeister in Deutschland inzwischen Bauchschmerzen bereiten. Aber da sei derzeit nichts zu machen. Die Nord-Süd-Ausrichtung der Wohnungen ist ein Muss, ost-westlich ausgerichtete Wohnungen würde niemand kaufen, fürchten die Chinesen. Also können die Zeilen nur in langen Blöcken hintereinander stehen.
Wir schließen unseren Ausflug mit einem Panorama-Blick vom Dach des Rathaustums ab. Noch schweifen die Augen über viel unerschlossenes Bauland, braune und grüne Ebenen, einsame Straßen und halb hochgezogene Gebäude. Selbst mit viel Fantasie ist es noch schwer, sich vorzustellen, wie Stadt einmal genau aussehen wird im Jahr 2020, wenn sie fertig sein soll. Im Gegensatz zu Anting New Town hat man jedoch das vage Gefühl, dass ihre Verwirklichung könnte. Wie Anting New Town ist Lingang eine Reißbrettstadt, von deutscher Hand entworfen. Anders als in Anting wird jedoch nicht einfach ein äußerer europäischer Formenkanon kopiert, sondern vielmehr die Idee einer idealen Stadt ganzheitlich umgesetzt. So formuliert auch das Architektenbüro GMP selbst: “Unser Konzept von Lingang New City greift die Ideale der tradierten europäischen Stadt auf.”
CLuetkemeier, 3. September, 23:55
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