Freitag, 19. September 2008

Hybridisierung in China

In dem nachfolgenden Blog-Eintrag fasst Prof. Dr. Albrecht Koschorke seine gesammelten Eindrücke zum Thema der Summer School zusammen.

Im Rückblick war es auffällig, dass mit dem Schlüsselbegriff in der Ankündigung der Summer School, nämlich Hybridisierung, von chinesischer Seite niemand etwas anfangen konnte. Das lag nicht nur an den erheblichen sprachlichen und theoretischen Hürden. ‚Hybridisierung‘ selbst, verstanden als Konzept, schien keinerlei Interesse zu finden. Wenn Shanghai als Stadt für den Aufbruch Chinas exemplarisch ist, dann steht auf allen Ebenen, und zwar vollkommen eingestandenermaßen, das Prinzip der Nachahmung im Vorder­grund. Nach­geahmt werden westliche Kleidung (und zwar, jedenfalls was die Frauen­mode angeht, in einer eher bourgeoisen Ausprägung, wie im Paris der siebziger Jahre), Lebensstil, Konsumverhalten, Musik – alles zu haben: von Softpop mit Sonnen­unter­gängen und rosa Herzen bis hin zum Rap, nur dass den zart gebauten chinesischen Sängern der schwarze Ghetto-Look nicht richtig gelingt (Beobachtung von Eva Esslinger) –, Ikonographie (etwa das geschlechts­lose Maskott­chen der Expo 2010), Wohnformen, Automobilität, Stadtarchitek­tur. Aus all diesen Din­gen spricht ein enormes Bedürfnis nach Anerkennung durch den Westen, und zwar gerade im Hin­blick darauf, mit ihm gleich­zu­ziehen, ihm ähnlich zu sein.

Das vorherrschende Gefühl, wenn man durch die Stadt fährt, ist ein Gefühl des déjà-vu. Schon die ‚traditionelle‘ Lebens­weise in den Hof­häusern findet ja in Grundrissen und nach Modellen der Kolonialzeit statt; das bunte Straßenleben erinnert, bis auf die Schrift und ein paar rote Lampions, an das Treiben in europäischen Innenstadtgassen. Die Neu­bau­viertel lassen an die europäi­schen Bausünden der siebziger und achtziger Jahre denken – Wohnblöcke, soweit das Auge reicht. Ein global gewordenes Gelsenkirchen, oder, in den größeren Dimensionen, französische Banlieues. Wolkenkratzer und moderne Pomp-Architektur wie in den meisten amerikanischen Großstädten, und an die USA erinnert auch der unendliche urbane Sprawl, der sich gestaltlos und offenbar weitgehend un­koordiniert nach allen Seiten ausdehnt. Die Mustersiedlungen, die für den neuen Mittelstadt in der Peripherie Shanghais entstehen, kopieren britische, holländische, deutsche Modelle. Das alles erzeugt, von außen betrachtet, pausenlos Effekte von Hybri­di­sierung, aber das zugrunde liegende Programm heißt ganz klar: Assi­mi­lation.

Dem europäischen Touristen, in seinem Begehren nach einer irgendwie authentischen Alterität leise enttäuscht, liegt dann immer die Frage nach dem ‚Eigenen‘ der chinesischen Kultur und nach der Bewahrung ihrer alten Substanz auf den Lippen. Die chinesischen Gastgeber akzeptieren dies als ein Thema und Problem, aber man weiß nicht recht, ob sie es nicht wiederum aus mimetischer Höflichkeit tun. Shanghai weist inzwischen eine Reihe von denkmalgeschützten Arealen aus, und im Großraum gibt es Venedig-artige Kanal­städtchen, die mit ihrem kostümierten Personal wie ein Freilichtmuseum hergerichtet sind. ‚Auch wir pflegen unsere Altertümer.‘

Es muss verwirrend sein, wenn man bei der Aufholjagd einer nachholenden Moderni­sierung in einigen urbanen Zentren endlich gleichzieht, und dann kommen Europäer daher, schauen bedenklich und fragen: Wo sieht man eigentlich eure chinesischen Tradi­tionen? (Was ja letztlich auf einen nostalgischen Nationalismus im Stil des 19. Jahr­hunderts hinausläuft.) Und wenn man mit Stolz auf die Skyline von Pudong zeigt oder durch gigantische Shopping Malls führt und sagt: ‚Wir sind wie Ihr, auch bei uns gibt es jetzt C&A‘, um als Reaktion eine Theorie der Hybridisierung zu ernten.

Ethnologisch gesehen, ist das Begehren der Touristen viel rätselhafter als das Begehren der Einheimischen, die zum Objekt des touristischen Blicks gemacht werden.

Sonntag, 14. September 2008

Wohnen in der Metropole (II): Studentenwohnheim

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Wie kostbar Wohnraum in einer Metropole wie Shanghai geworden ist, sieht man nicht zuletzt daran, dass überall dort, wo zweigeschossige Häuser abgerissen wurden, ausschließlich Wolkenkratzer aus dem Boden wachsen um die wertvollen Grundstücke so intensiv wie möglich auszunutzen. Für die chinesischen Studenten der Tongji-Universität ist ein Apartment in der Innenstadt unbezahlbar. Die meisten ziehen darum in eines der Studentenwohnheime auf dem Campusgelände, wo sich bis zu acht Studenten ein Zimmer teilen, ohne Heizung, ohne Bad. Wie lebt es sich unter diesen Umständen dauerhaft? Unsere Summer School-Teilnehmerin und Tongji-Studentin Jiang Bei war so nett, mir ihr Wohnheimzimmer zu zeigen.

Die Wohnheime befinden sich auf der Nordseite des Campus-Geländes, dessen Eingang von einem kleinen Wachhäuschen aus beobachtet wird. Bei und ich passieren eine große Statue Maos, die ihren rechten Arm in den Himmel reckt, die gläsernen Neubauten der Universität. Wir gehen vorbei an einer Gartenanlage samt Teich, in dem Schwäne schwimmen, hier, mitten in der lauten dreckigen Stadt. Vor uns taucht ein Nadelwäldchen auf. Dort beginnen die Zeilen der Wohnheime. Vor den langen Fensterreihen der einzelnen Gebäudeblöcke hängen feuchte Wäschestücke schlaff in der schwülen Luft. An der Kleidung kann man erahnen, ob es sich um ein Wohnheim für Frauen oder für Männer handelt - gemischte Blöcke gibt es nicht.
Jeder Eingang ist bewacht. Bevor Bei mir ihr Zimmer zeigen darf, müssen wir uns nebenan im Büro der vorstehenden Wachtfrau melden. Bei lässt ihren Studentenausweis da. Von der Seite fällt ein Blick auf die schwarze Tasche meiner Fotokamera, aber ich darf mit hinein. Noch nicht einmal ihre Familie dürfe sie einfach so auf ihr Zimmer einladen, erzählt mir Bei. Die Flure im Innern des Wohnheims sind kahl, grau und steril. Die Reihen hoher Holztüren mit ihren Oberlichtern erwecken den Eindruck eines Schulgebäudes. Jetzt, mittags in der ersten Woche des neuen Semesters, ist alles ganz leer, obwohl in jedem der sechs Stöcke etwa 20 Zimmer pro Flur liegen. Nur eine Waage und ein schmaler Spiegel im Erdgeschossflur deuten nun auf die knapp 500 Bewohnerinnen hin. Beis Zimmer befindet sich im fünften Stock, gleich gegenüber des Treppenhauses. Einen Fahrstuhl gibt es nicht.
Wir treten ein. Von der Tür blickt man durch den geraden Raum direkt auf das Fenster. An den Längswänden des etwa 20qm² großen Zimmers stehen vier Hochbetten. Unter jedem Schlafplatz befindet sich ein kleiner Kleiderschrank, ein Schreibtisch, eine Kommode und ein Stuhl. Beis Reich liegt rechts vom Fenster. Sie nimmt auf ihrem Schreibtischstuhl Platz. Ein Jahr wohnt sie erst hier, zuvor war sie drei Jahre in einem anderen Gebäude untergebracht. “Es ist gut hier, vorher war ich in einem 6er-Zimmer.” Mit zwei der fünf Mitbewohnerinnen aus dieser Zeit lebt sie auch jetzt noch zusammen.


Mit wem man auf ein Zimmer kommt, wird im ersten Semester von der Universität bestimmt, es sei denn man bewirbt sich vorher gemeinsam mit Freunden. “Man wohnt immer mit den Leuten zusammen, mit denen man auch in eine Klasse geht, damit die Prüfungen zur selben Zeit sind”, erklärt mir Bei. In den Prüfungsphasen gehen viele Studenten sogar nachts in die Bibliothek, auch in den Klassenzimmern sehe dann man abends oft Licht brennen. “Viele treffen sich zum Lernen in den Klassen weil in der Bibliothek nicht genug Platz ist.”

Doch auch wenn man die gleiche Klasse besucht und denselben Stundenplan hat, ist es nicht immer leicht, ein Zimmer zu teilen. “Wir müssen uns anpassen,” sagt Bei über sich und ihre Mitbewohnerinnen. Zum Beispiel, wenn man Musik hören wolle. Auch sei es manchmal lästig, wenn einer schon sehr früh aufstehe und Lärm mache. Im Großen und Ganzen klappe es aber sehr gut und aus dem intensiven Zusammenleben haben sich auch sehr engen Beziehungen entwickelt: “Manche sagen, die Kommilitoninnen an der Uni sind die besten Freunde im ganzen Leben.”
Grundsätzlich steht jedem “Freshman“, der ein Studium an der Universität beginnt, ein Wohnheimplatz zu. Der Raum ist knapp: An der Tongji teilen sich bis zu acht Studenten einen Schlafraum, vor einigen Jahren waren es sogar noch zehn, was an anderen Unis auch heute durchaus noch üblich ist. Dafür sind die Preise unschlagbar niedrig. Für ein ganzes Jahr Unterkunft zahlen die Studenten 800 Yuan Kaltmiete, das sind umgerechnet etwa 80 Euro. Eine Wohnung in der Stadt kostet etwa 2.400 Yuan im Monat - und muss in einer riesigen Metropole wie Shanghai dabei nicht eben zentral liegen. Obwohl Beis Vater in Shanghai arbeitet, wohnt sie selbst im Wohnheim weil der Weg zur Uni zu weit wäre, als dass sie täglich pendeln könnte.
Luxuriös sind die Wohnheime angesichts der günstigen Preisen gewiss nicht: Weil es keine Heizung gibt, können sich Bei und ihre Freundinnen im Winter nur mit kleinen Elektro-Wärmern helfen. “In Beijing gibt es schon Heizungen, aber im Süden muss noch alles renoviert werden.” Pro Flur gibt es nur einen Waschraum - ein gekachelter Saal mit umlaufendem Waschbecken, im anschließenden Raum gibt es Toiletten und zwei kalte Brausen. Wer eine warme Dusche nehmen möchte, muss das Gebäude verlassen. In einem anderen Haus, 5 Minuten von der Uni entfernt, ist es möglich, von 12 Uhr mittags bis zehn Uhr abends zu duschen. Für das warme Wasser zahlt man per Chipkarte eine Gebühr. “Gestern Abend um neun Uhr habe ich 20 Minuten gewartet ” sagt Bei. Auch auf Kochmöglichkeiten müssen die Studenten verzichten.
Anders als in Europa werden in den chinesischen Wohnheimen keine wilden Partys gefeiert. Zum einen fehlt es an Gemeinschaftsräumen, zum anderen dürfen die Bewohner nicht zuviel Lärm machen. Was man sonst so macht? “Wir treffen uns abends auf den Zimmern, zum Karten spielen und zum Unterhalten”, erzählt Bei. Sie selbst wird nun noch ein Jahr im Studentenwohnheim leben. Ob sie froh darüber sei? Eher traurig, so die Antwort: “Das Leben in einem Studentenwohnheim ist doch herrlich.”

Samstag, 13. September 2008

Kurze Pause

Viele Chinesen sind wahre Meister des Powernappings. Kein Ort scheint zu laut oder zu unbequem, um kurz Energie zu tanken. Wer in der dauernden Großtadthektik Ruhe finden will, muss eben flexibel sein...

Das Shanghai Propaganda Poster Art Centre

Es gibt in Shanghai ein Museum, dessen Sammlung einzigartig und das unter Chinesen dennoch nahezu unbekannt ist. Ein Museum, dessen Nummer nicht im Telefonbuch steht und das nur von Ausländern besucht wird, die in ihrem Reiseführer davon gelesen haben. Das Propaganda Poster Art Centre liegt geradezu versteckt im Keller eines gewöhnlichen Wohnhausblockes in der Huashan Lu. Ein Besuch.

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Das erste Mal fahre ich mit dem Fahrrad am Museum vorbei - weil außen, zur Straße hin, kein Schild zu sehen ist, das auf eine Ausstellung hindeuten würde. Nun da ich, geleitet durch die im Reiseführer verzeichnete Hausnummer, nach einem zweiten Such-Versuch endlich vor dem nur halb geöffneten Schiebetor aus weiß lackiertem Gitterstäben stehe und fragend zum Wachtpostenhäuschen blicke, tritt der Aufpasser auf mich zu. “Museum?” Ich nicke. Lächelnd überreicht er mir eine Visitenkarte, nach chinesischer Art mit beiden Händen, zwischen Daumen und Zeigefinger, die Daumen nach oben. Er bedeutet mir, sie zu drehen: Auf der Rückseite findet sich ein vager Plan, auf dem die hinter dem Gittertor liegenden Hochhausblöcke verzeichnet sein sollen. Obwohl sich die Anordnung mitnichten rekonstruieren lässt, folge ich dankbar dem Fingerzeig des Wachtmanns.
Hier soll also ein Museum sein? Ich muss noch einmal fragen. Schließlich lande ich im auf der Visitenkarte angekreuzten Gebäudes, ein kleines Schild neben dem alten Aufzug verweist auf das Museum. Und tatsächlich: Als sich die Fahrstuhltüren öffnen, lächelt mir Mao von einem Werbeplakat entgegen.
In der etwa 30 qm großen Ausstellungshalle ist nur ein Bruchteil der über 4.000 Plakate zu sehen, die der Besitzer Yang Pei Ming seit rund 20 Jahren sammelt. Er selbst befindet sich gerade in New York, um eine Ausstellung vorzubereiten. Das Interesse an seiner einzigartigen Sammlung ist im Ausland groß, die Preise für die Poster steigen. Nur in der eigenen Heimat will niemand etwas davon wissen.

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Ich schaue mich um. Rund 100 Exponate sollen einen repräsentativen Querschnitt durch dreißig Jahre chinesischer Propagandageschichte bilden, die jüngsten sind von 1979. In ihrer Bildsprache sind die Plakate europäischen oder russischen erstaunlich ähnlich: Eine je nach Jahrzehnt mal holzschnittartige, mal pastellig-verschwommene oder schnörkelhafte Bildsprache, heroisch von unten eingefangene Soldatengesichter, böse Feindesfratzen, glückliche Arbeiter, Familien, welche die Mao-Bibel studieren. Dass viele Klischees sich genausogut auf westlichen Propagandabildern finden könnten, ist kein Zufall: Viele chinesische Künstler hatten zeitweise im Westen studiert, und bei ihrer Rückkehr die dort erlernte Bildsprache nach China mitgebracht.

Jede Dekade hat nicht nur ihren eigenen Stil, sondern auch ihre typischen Sujets. Von 1949 bis 1953 stehen die Gründung der Volksrepublik China, die ersten Reformen wie das neue Heiratsgesetz und der Korea-Krieg im Mittelpunkt. Insbesondere die USA und Großbritannien werden dämonisiert: Als repressive Kolonialherren, als böse Spione mit Melonenhüten, als Papier- Tiger, den es zu besiegen gilt. Ab 1967 wandeln sich nicht nur die Motive, sondern auch die Materialität der Poster. Viele sind nun auf einem gelblichen Papier schlechter Qualität gedruckt, viele der cartoonähnlichen Motive wurden von Arbeitern und Bauern gestaltet. Es ist die Zeit, in der jeder zehnte chinesische Intellektuelle sich dem Verdacht des Rechtsextremismus erwehren muss. Von 1963 bis 1965 bildet neben der politischen Erziehung des Volkes vor allem der Vietnamkrieg das hauptsächliche Thema der Plakate. Mit dem Beginn der Kulturrevolution ab den 1966er Jahren erlebten die Propagandaposter durch Produktionen von Volkskünstlern und die Studenten an Kunstakademien einen neuen Aufschwung: Unzählige Holzschnitte zeigen Mao als rote Sonne, die auf das Volk hinab scheint, als Mann des Volkes, als Führer. Von 1972 bis 1976 schlagen die Poster dann leisere Töne an: Sie regen vor allem zum Studium des Marxismus und der Mao-Bibel an.

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Das Museum ist auf ausländische Besucher eingestimmt: Alle erklärenden Tafeln sind ausnahmslos in Englisch, auf handgeschriebenen Zetteln sind Übersetzungen der chinesischen Schriftzeichen zu jedem einzelnen Plakat vermerkt. “Chinesen kommen hier nicht hin“, erklärt mir ein Mitarbeiter des Museums. Das Museum stehe nicht im Telefonbuch und sei unter Shanghaiern wenig bekannt. Dafür finde es sich in jedem Reiseführer. Mehr will er nicht sagen. Gegenüber der Ausstellungshalle, am anderen Ende des Flures, findet sich ein auf spendierfreudige Touristen ausgerichteter Museumsshop. Einige der kleinen Poster, die hier für mindestens 1000 Yuan verkauft werden, kann man auf Shanghaier Flohmärkten auch für 50 Yuan finden. Des weiteren gibt es alte Ansteckpins mit dem konterfei Maos vor rotem Grund, 1976er Mao-Bibeln in diversen Sprachen, knautschbare Mao-Büsten aus graugelbem Gummi, kommunistische Porzellanteller und Postkarten. Man weiß nicht so recht, ob das Ganze nun kritisch- distanzierend, ironisch oder ehrfurchtsvoll gemeint ist. Vielleicht steckt auch einfach nur Geschäftssinn dahinter. Die Artikel würden sich blendend verkaufen, gerade heute wieder, erzählt mir der Mitarbeiter fröhlich, der nun am Tisch eines kleinen Nebenraumes 100 Yuan-Scheine zählt. “Viele Ausländer, gutes Geschäft heute.” Er lacht.

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Ein Packpacker-Pärchen hat den Shop betreten, beide Ende zwanzig, er Australier, sie aus Neuseeland. Sie machen gerade einen “world trip”, sind durch ihren lonely planet auf das Museum aufmerksam geworden und finden die Plakate “totally crazy“ oder auch “Cool”. Nach einigem Stöbern bezahlt er ohne zu verhandeln rund 2500 Yuan für ein Bild glücklicher Arbeiter. Das macht sich sicher mal gut in der heimischen WG-Küche, vorausgesetzt es überlebt die weitere Reise über Russland nach Europa.

Ich blicke mich noch einmal im Laden um, in dem es mindestens ebenso viele Plakate gibt wie in der Ausstellung. An einer der Wände lehnt ein gerahmter Druck von 1979. Vor der Skyline einer Großstadt erhebt sich in seiner Mitte das Emblem der kommunistischen Partei, links und rechts umgeben von Raketen, Satelliten, großen Schiffen und Hochgeschwindigkeitszügen als Boten des Fortschritts. Die Botschaft des Plakates erschient mir gar nicht so fern von jener des riesigen vergoldeten Modells der Stadt Shanghai, das sich im die heute, knapp dreißig Jahre später, im Eingangsbereich des Shanghai Urban Planning Exhibition Centre auf einem riesigen runden Sockel dreht.

Freitag, 12. September 2008

Schönheitsideale...

Internationale Firmen werben in China mit asiatischen und nicht mit europäischen oder amerikanischen Models. Oder?
Mitunter eifern junge Chinesinnen dem Schönheitsideal eines blassen Teints und großer Augen so sehr nach, dass sie von westlichen Models kaum noch zu unterscheiden sind. So wie auf diesem Plakat, gesehen nahe der Maoming Lu.

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Seminar: Die Reflexion städtischer Entwicklung in der zeitgenössischen bildenden Kunst

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"Translocalmotion" lautet das Motto der siebten Shanghai Biennale, welche sich in diesem Jahr die Entwicklung der Stadt Shanghai zum Leitmotiv gesetzt hat.
Wie träumen Künstler die Metropole? Welche Kritik üben sie am urbanen Leben? „Can cities make our life better?" Im gleichnamigen Seminar untersuchte Dr. Sven Sappelt gemeinsam mit den Teilnehmerinnen der Summer School anhand ausgewählter Exponate, wie die aktuelle Kunstszene der rasanten städtischen Entwicklung gegenübersteht.


Im folgenden Text fasst er seine Eindrücke zusammen...


Better City – better Life. Das Versprechen zieht sich wie ein roter Faden durch die Stadt: auf riesigen Werbebannern ist der Slogan zu lesen. Es ist der Ausdruck eines gewaltigen Modernisierungswillens, der Shanghai innerhalb weniger Jahre in eine fortschrittliche Metropole verwandeln soll: Wolkenkratzer, Shoppingcenter, International Style, Expo.


Im Gegensatz dazu liest sich der Untertitel der Shanghai Biennale 2008 beinahe wie ein kritisches Gegenprogramm zur politisch verordneten Utopie: Translocalmotion - Make Cities our life better? Die Kunstschau fand inzwischen zum siebten Mal statt und stand am 12. September auf dem Programm der Konstanzer Sommerschule.


Statt den radikalen Transformationsprozessen einmal auf den Zahn zu fühlen, bleibt eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den aktuellen urbanen Entwicklungen und ihren Schattenseiten allerdings aus. Das ist schade, weil dadurch die Sprengkraft des Themas verschenkt wird. Die Ausstellung ist aber trotzdem und vielleicht sogar gerade deshalb erhellend – wenn auch in ganz anderer Hinsicht.


Auf dreien von vier Stockwerken des Ausstellungsgebäudes wird vor allem eines präsentiert: das Bild Shanghais als eine internationale Metropole, als Melting Pott und Knotenpunkt globaler Waren-, Geld- und Menschenströme; als ein Hafen, in dem immer wieder neue Menschen landen, dem Leben am Huangpu eine unvorhergesehene Wendung geben und ihre Spuren hinterlassen.


Seit Beginn der Kolonialisierung gegen Mitte des 19. Jahrhunderts bestimmt der Strom der Reisenden die Geschicke der Stadt. Waren es zuerst eher Draufgänger und abenteuerlustige Kaufleute, die in der Heimat nicht viel zu verlieren hatten, zog Shanghai innerhalb weniger Jahrzehnte eine Vielzahl an glücksuchenden Zeitgenossen an – Soldaten, Händler, Touristen, Intellektuelle, deutsche Juden auf der Flucht vor dem Nationalsozialismus.


Es ist dieses Bild, das Chinesen heute gerne der Welt präsentieren und das sich eben auch im offiziellen Titel der Ausstellung niederschlägt: Translocalmotion – das heißt auf Chinesisch so etwas wie schnelle Stadt und schnelle Reisende.


Ein großes Gemälde fasst diese Botschaft sinnbildlich zusammen: „Blooming, Wilting“ von Ma Baozhong. Auf vier mal zwölf Metern versammelt der chinesische Maler Symbole und Insignien einer dynamischen und weltoffenen Stadt: Geschäftsleute, Schriftsteller, Popstars, Sportler, Immigranten, Reisende aus Vergangenheit und Gegenwart; verwoben mit Schiffen, Stadtansichten und vielem mehr zu einem lebendigen Durcheinander.


Aber ist das nicht ein Bild, das man so oder ähnlich von jeder modernen Großstadt malen könnte? Zweifellos. Interessant wird es angesichts der chinesischen Geschichte: der Kulturrevolution. Unter der blutigen Führung Maos wurden alle Häfen geschlossen und China von der übrigen Welt abgeschottet. Das der Strom der Reisenden heute wieder anschwillt, ist also keine Selbstverständlichkeit. Das Bild spannt einen historischen Bogen, der auf die traditionelle Internationalität der Hafenstadt verweist und so dem kommunistischen Terror einen begrenzten Platz in der Geschichte zuweist.


An das blutige Kapitel der Kulturrevolution erinnert die Arbeit „Express Train“ des chinesischen Künstlers Jing Shijian im Vorhof zum Biennalegebäude: ein düsterer Zug ruft Erinnerungen an die Zwangsverschickung chinesischer Studenten hervor. Statt ihrem Studium und ihren Karrieren nachzugehen, wurden sie von allem intellektuellen Leben abgeschnitten und zur Arbeit auf dem Land gezwungen. Bis heute ist die Aufarbeitung der Geschichte dieser verlorenen Generation ein höchst sensibles Thema, das zwar nicht tabuisiert, aber doch kaum öffentlich diskutiert wird.


In Bezug auf China bleibt dies allerdings die einzige wirklich kritische Stimme in der Ausstellung. Die Probleme des modernen Großstadtlebens werden eher indirekt oder am Beispiel anderer Städte thematisiert: So zeigt die Fotoserie von Klaus Metting drastische Bilder von Müllhalden in Neu Delhi. Die raumgreifende Installation „Kandor Con“ von Mike Kelley führt mit Superman-Comics auf spielerische Art und Weise die hypertrophe Seite eines naiven Modernisierungswillens vor Augen. Doch all dies bleibt im Grund weit von China weg – so nah es der Sache nach auch sein mag.


Die Ausstellungsbereiche, die sich dezidiert mit Shanghai beschäftigen, immerhin zwei ganze Stockwerke, konzentrieren sich dagegen weitgehend auf das Zentralmotiv: Betonung der Bewegung, der Migration, der Internationalisierung. So präsentiert Wang Qingsong mit „Luggage“ eine Sammlung von Gepäckstücken aus verschiedenen Zeiten und Weltregionen. Die „Flying Machine“ von Yin Xiuzhen stellt eine kuriose Konstruktion aus einem Flugzeug, einem Auto und einem Traktor dar, welche spannungsgeladene Beziehung zwischem dem ländlichen, städtischen und internationalen Entwicklungen mit ihren verschiedenen Geschwindigkeiten thematisiert. Die Fotografien von Lu Hao führt in seinen „Scenery Series“ die international standardisierten Warenauslagen in den Geschäften unterhalb des Volksplatzes vor Augen.


Dabei ist der Ansatz gar nicht schlecht gewählt: Wie bei der Istanbul-Biennale 2006 nimmt die Ausstellung ihren Ausgangspunkt in der Stadt. Die Kuratoren Zhang Qing, Julian Heynen und Henk Slager gehen noch einen Schritt weiter und beginnen ganz konkret mit dem Ausstellungsgebäude selbst: dem ehemaligen Clubhaus der Sportanlage, die einst der kommunistischen Revolution weichen musste, um Platz für den heutigen Volksplatz zu schaffen. Hier spiegelt sich die Geschichte Shanghais vom internationalen Jetset über die kommunistischen Volksaufmärsche bis zum gegenwärtigen Shoppingparadies wieder. Der Platz ist ein dynamischer Ort, an dem sich die Wege von Millionen von Menschen kreuzen.


Für eine vermutlich nicht ganz zufällige Irritation sorgt dabei ein Ausstellungsteil, der die Geschichte des Volksplatzes und der Stadt anhand historischer Fotos und musealer Schautafeln dokumentiert. Die Handschrift ist offensichtlich eine andere und tatsächlich liegt die Verantwortung für diesen Beriech bei einem chinesischen Team, das im Katalog gar nicht genannt wird.


Während der an kritischen Positionen geschulte Kunstbetrachter aus Europa also noch die Bilder vom chinesischen Elend vermisst – von zwangsumgesiedelten Familien, von hypertrophen Modernephantasien, von ausgebeuteten Arbeiter und korrupten Superreichen -

dämmert ihm allmälich, dass hier vielleicht nicht alles gesagt wurde, was zum Thema städtische Entwicklung in Shanghai hätte gesagt werden können – und dass dafür eventuell weder das Team der Kuratoren noch das Fehlen von radikalen künstlerischen Positionen verantwortlich zu machen ist...


Auf den ersten Blick mag diese Biennale deshalb ein wenig zu brav oder gar etwas langweilig erscheinen. Die radikalen Transformationsprozesse, die sich gegenwärtig in China vollziehen und zweifelsohne auch schmerzhafte Spuren hinterlassen, könnten präziser erfasst und sensibler beschrieben werden. Auf den zweiten Blick wird allerdings deutlich, dass die Ausstellung ein durchaus ernstzunehmendes Statement liefert:


In Shanghai artikuliert sich ein gewaltiger Modernisierungswille, der die Stadt neben Weltstädten wie New York, Berlin oder Tokyo als internationale Metropole behaupten möchte – und zwar auch in der Kunst. Das gilt letztlich auch für die Preise für chinesische Kunst seit einiger Zeit gezahlt wird. Die in deutschen Medien geführte Diskussion, ob deutsche Architekten in diesem Umfeld arbeiten sollten, erscheint aus der Nähe betrachtet als völlig absurd. Vielmehr sollte die europäische Öffentlichkeit die Politik der Öffnung begrüßen und an den Veränderungen partizipieren. Die kommunistische Partei spricht keineswegs immer mit einer Stimme. Auch hier gibt es Meinungsverschiedenheiten und Richtungsstreitereien. Und das politische Klima könnte sich durchaus wieder verdüstern, sobald der wirtschaftliche Aufschwung abnimmt und die Probleme, die mit der gegenwärtigen Modernisierung einhergehen, deutlich zu Tage treten. China ist dem sozialistischen Verfall noch einmal entkommen, indem es die Flucht nach vorne angetreten ist. Man muss kein Prophet sein, um vorauszusehen, dass das utopische Modernisierungspotential irgendwann ausgeschöpft sein wird und die Euphorie der Erneuerung dem nüchterne Alltag der bröckelnden Wohnblocks, der ungelösten Versorgungsprobleme und fortschreitenden Umweltverschmutzung weicht. Dann wird es vermutlich sehr viel schwerer werden, die politisch Verantwortlichen für westliche Ideale zu begeistern. Freuen wir uns also über den günstigen Augenblick, den die Kuratoren nutzen, das Bild eines lebendigen, bewegten und internationalen Chinas zu verbreiten. Je selbstverständlicher dieses Bild im chinesischen Bewusstsein und der Weltöffentlichkeit verankert wird, desto schwieriger dürfte es werden, zu einer ängstlichen wie schädlichen Politik der nationalen Abschottung zurückzukehren; desto wahrscheinlicher bleibt es, dass Shanghai ein bewegendes Drehkreuz für Touristen, Reisende, Glücksuchende bleibt. Translocalmotion!

Donnerstag, 11. September 2008

Seminar: Stadt im Museum

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Wie lässt sich die geschichtliche Entwicklung einer Metropole mit mehr als 18 Millionen Einwohnern, die über weit mehr als tausend Jahre gewachsen ist, in einer einzigen Ausstellung repräsentativ darstellen und in drei Stunden durch einen Rundgang nachvollziehen? Dieser Frage ging das Seminar "Stadt im Museum" von Prof. Dr. Albert Kümmel-Schnur nach. Gemeinsam durchwanderten die Studentinnen das Shanghai History Museum im Oriental Pearl Tower. Dabei hinterfragten sie kritisch die Auswahl und Anordnung der einzelnen Exponate.

Schnell stellte sich heraus, dass die Ausstellung mit den verschiedensten Medien arbeitetet, um die Geschichte der Stadt anschaulich zu inszenieren und dem Betrachter auf verschiedene Weisen das Gefühl zu vermitteln, Teil der jeweiligen historischen Epoche zu werden. So findet der Besucher sich zum Beispiel inmitten historisch gekleideter Wachsfiguren auf künstlichem Lehmboden wieder oder blickt aus der Vogelperspektive auf detaillierte Dioramen im Spielzeugformat. Er betritt lebensechte Häuser und Gassen und kann am Ende der Ausstellung mittels Blueboxtechnik sogar Teil eines historischen Films über die Nanjing Lu werden.
An ausgewählten Stationen reflektierten die Studentinnen ihre eigene Betrachterrolle und diskutierten darüber, mit welchen Mitteln, die Ausstelung sie in das historische Stadtbild einbezog. Gezielt analysierten sie dabei vor allem, welche Medien bei der Inszenierung welcher historischen Epoche zum Einsatz kamen.

Stadt im Museum - Interview mit Prof. Dr. Albert Kümmel Schnur über das Shanghai History

Wie inszeniert sich Shanghai hier in diesem Museum?

Nachdem sich China Anfang der 1990er Jahre geöffnet hat, wurden Bilder für das neue, marktwirtschaftlich sich wandelnde China benötigt. So zumindest ist mein Eindruck als ganz marginaler Beobachter von außen. In Shanghai wurde zwischen 1992 und 1995 das alte Fischerdorf Pudong in ein Schaufenster des boomenden, reichen, modernen Stadtlebens umgeformt. Der Oriental Pearl Tower entstand als neues Wahrzeichen der Stadt. Nun schaut man vom Bund hinüber nach Pudong, man schaut vom alten, kolonialistischen Chic auf das China der Zukunft, ein sich postmodern gebendes China. Und unten im Oriental Pearl Tower, einer auf ihre Bildfunktion hin gebauten Architektur, befindet sich ein Museum, das auch eine Bildermaschine ist. Zielt der Turm darauf, der Stadt Shanghai ein Gesicht zu geben, ist es das Ziel des Museums, seine Besuchenden zum integralen Teil eben dieses Bildes zu machen. Am deutlichsten wird dies am Ende der Ausstellung, wo man mithilfe einer Greenbox zum auch für andere Besucher sichtbaren Teil eines historischen Films, der die Nanjing Lu in den 1930er Jahren zeigt, werden kann.
Fotografieren und Anfassen sind in diesem Museum wo nicht erlaubt, so doch offensiv geduldet. Man kann also nicht nur Teil des Stadt-Bildes werden, sondern auch selbst Bilder produzieren und mitnehmen, indem man etwa Seit’ an Seit’ mit lebensgroßen Wachspuppen, die historische Szenen nachstellen, für Fotos posiert.

Was wird in diesem Museum gezeigt, was nicht?

Das Museum zeigt zunächst einen Markt im Shanghai der Ming-Dynastie. In weiteren Hallen folgen die Semikolonisierung Chinas in den Opiumkriegen seit 1840 und das Leben in den sog. Konzessionen. Das Museum schließt mit einer Darstellung derjenigen architektonischen Spuren, die noch heute im Stadtbild von der im Museum dargestellten Geschichte erzählen. Shanghai identifiziert sich in diesem Museum überraschenderweise stark mit seiner früheren kolonialen Vergangenheit – allerdings nur als buntes Bild, als Bild eines Bildes. Das kommunistische China wird hier ebensowenig ausgestellt wie die Gegenwart.

Die Ausstellung ist nicht gerade sozialkritisch.

Das ist sicherlich nicht das Ziel dieses Museums – wie im Übrigen Sozialkritik ja auch nicht zum Standardrepertoire von Stadtmuseen überhaupt gehört.
Das Einzige, was sozialkritisch ist, ist ein filmisch animiertes Diorama aus dem Leben von Vorstadtarbeitern in den 1930er Jahren.
Wer sich für eine politische Geschichte interessiert, kann andere Museen in Shanghai besuchen, zum Beispiel das Haus der
ersten Sitzung der Kommunistischen Partei Chinas, das ich entgegen vieler Reiseführervorbehalte deutlich empfehlen möchte. Dieses Museum hier, das Shanghai Municipal History Museum, macht vor allem Spaß. Man lernt hier kaum etwas über die Stadtgeschichte, sondern es geht vor allem um die Produktion von Bildern.

Kann man also sagen, dass hier im wahrsten Sinne des Wortes Image-Bildung betrieben wird?

Ich würde schon bei dem Wort Bild bleiben und vom Begriff des Image absehen. Image beinhaltet eine zu starke Wertung und kommt obendrein aus der Werbesprache. Ich würde auf "Bild" beharren.
Und schließlich sagt das Museum ja auch selbst sehr offensichtlich in mancherlei selbstreflexiven Installationen: Ich bin ein Bild.

Vielen Dank für das Gespräch.

Mittwoch, 10. September 2008

Exkursion: Die Stadt als Schiff

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Am Beginn der gemeinsamen Fahrt nach Tongli und Zhou’zhuang stand ein Blick auf die prominenteste europäische Kanalstadt: Venedig. Eine Stadt, die man mit ihren Gondeln heute vor allem als romantische Kulisse wahrnimmt, in deren Vergangenheit als Seerepublik aber auch der kulturellen Transport per Schiff erzählt. Das schiff als Transportmittel, aber auch als Metapher des politischen Gemeinwesens wurde zum Leitgedanken des Tages. Vor dem Hintergrund der am Vortag besichtigten Selbstinszenierung Shanghais im Exhibition Planning Center untersuchten die Studierenden durch Umfragen vor Ort die Arbeits- und Lebensbedingungen in den Kanalstädten. Zusätzlich erhielten sie den Auftrag den Satz “Shanghai ist wie ein Schiff, das” individuell zu vervollständigen, wobei das “Shanghai” auch durch “Deutschland” oder “China” ersetzt werden durfte. Die Präsentationen der Ergebnisse am Ende des Tages ergaben ein detailreiches Bild: So ergab die von den Studierenden durchgeführte Befragung unter den Bewohnern der Stadt große Unterschiede zwischen den Lebensbedingungen der älteren Menschen, welche mit 80 Prozent die deutliche Mehrheit der Einwohner stellen und der jungen Generation, die zum großen Teil in Richtung Shanghai abwandert. Haupteinnahmequelle des Ortes ist der Tourismus, der jedoch keinen einheitlichen Lebensstandard für alle garantiert da große Einkommensunterschiede bestehen. Die an staatliche Stellen zu entrichtenden Pachtgebühren sind für nicht wenige Gewerbetreibende ein Problem.
Differenziert fielen auch die Vorstellungen davon aus, wohin die “Stadt- und Staatsschiffe” in China und in Deutschland unterwegs sind. Einige der von den Studentinnen ergänzten Sätze klingen in deutschen Ohren propagandistisch, andere lassen an Probleme denken, die uns auch in Deutschland wohl bekannt sind. Eine Auswahl aus den Antworten ist im untenstehenden Kasten dokumentiert.


"Shanghai und Deutschland sind beide wie ein Schiff, das nicht größer werden kann aber immer größer geworden ist." Yuan Jingliang

"Shanghai ist wie ein Schiff, mit dem wir zum Ufer der Glücklichkeit übersetzen können." Long Xiaoshuang

"Dass sie China nach vorne führt und in der Welt immer vorausführen wird!" Chen Yongling über die Metropole Shanghai

"Shanghai ist wie ein Schiff, das durch Tee und Kaffee fährt." Bai Lu

"China und Deutschland sind wie ein Schiff, dass einen Bug der Kultur und eine Kimm der Geschichte hat." Zhou Hong

"China ist wie ein Schiff, das mit einem reichen Schatz durch Wind und Wellen zu klarem Horizont fährt." Bian Xiaojun

"China und Deutschland sind wie ein Schiff, das auf dem Wasser der Geschichte liegt aber möglicherweise auch von dem umgesetzt wird." Zhou Hong

"Shanghai ist wie ein Schiff. in dem die Fahrgäste viele schöne Landschaften sehen und verschiedene Typen von Menschen kennen lernen" Annika

"Deutschland ist wie ein Schiff, das in der Welle der Innovation immer voraus ist. Und China ist auch wie ein Schiff, das schnell fährt und aufgeholt hat." Rebecca

"Shanghai ist wie ein Schiff, das die Leute aus der ganzen Welt trägt, die sich sowohl um ihre Leben und Träume bemühen als auch die Beiträge zur Entwicklung Shanghais leisten." Schwalbe

Dienstag, 9. September 2008

Exkursion: Shanghai City Planning Exhibition Centre

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In weniger als 600 Tagen wird Shanghai Austragungsort der Expo 2010 sein - nach der diesjährigen Olympiade das nächste Großprojekt, mit dem sich China der Weltöffentlichkeit präsentieren will. Weil das Motto der Expo "Better city, better life" in der eigenen Stadt möglichst vorbildlich demonstriert werden soll, gleicht Shanghai im Moment einer einzigen Großbaustelle: An allen Ecken und Enden wird an der Optimierung der Metropole gewerkelt. Oder an dem, was man dafür hält.

Wie ehrgeizig die Zukunftsvisionen von der eigenen Stadt sind, zeigt ein Besuch im Shanghai City Planning Exhibition Centre. Im hohen lichtdurchfluteten Foyer des eigenwilligen Gebäudes dreht sich auf einem runden Sockel ein vergoldetes Modell Shanghais. Interessanterweise wird nicht die ganze Stadt gezeigt, sondern nur eine Silhouette aus den Türmen der wichtigsten Wolkenkratzer und dem Oriental Pearl Tower. Eine Altstadt hat hier keinen Platz, die sprichwörtlich "goldene Zukunft" scheint man in Pudong zu sehen.
Auch die Ausstellung gibt sich völlig zukunftsgewandt. Zwischen sehr wenigen Verweisen auf die Vergangenheit und Gegenwart der Stadt: Ein modellgebautes Shanghai 2010. Neuer Flughafen, neuer Bahnhof, neuer Hafen. Eine Miniaturausgabe der fertig gestellten Lingang New City. Eine computeranimierte, musikuntermalte 360-Grad Ansicht des neuen Shanghais, die sich in einem runden Kino bewundern lässt. Stadtverwaldung: Auf Schautafeln wird das Langzeitziel präsentiert, 40 Prozent von Shanghai zu begrünen. Jedem Shanghaier soll dann durchschnittlich eine Grünfläche von der Größe eines Hauses zur Verfügung stehen. 1949 bemaß sich die Grünfläche pro Shanghaier gerade auf die Größe eines Schuhpaares, im Jahr 2003 waren es knapp 10 qm².
Die Planungen sind ehrgeizig. Wie und mit welchen Medien werden sie im Shanghai City Planning Exhibition Centre präsentiert? Wo wird auf Probleme sozialer und ökologischer Art hingewiesen? Welche Menschen sollen in diesem neuen Shanghai eigentlich leben und auf welche Weise? Wer möglicherweise keinen Platz mehr im durchgestylten Stadtbild finden?
In Kleingruppen beschäftigten sich die Studentinnen mit diesen und anderen Fragen, um ihre Antworten im Anschluss anhand ausgwählter Exponate zu präsentieren.

Reklame

Viele Plakate in Shanghai bewerben kein Parfüm und keine Kleidung, keine Lebensmittel und kein Unternehmen. Sondern eine solidarische und harmonische Stadtgemeinschaft. In chinesischer und in englischer Sprache.

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Montag, 8. September 2008

Kleine Warenkunde: Imitation und Verfremdung

Auch wer wenig Geld hat, strebt nach Prestige.
Zum Glück müssen vom Wohlstand kündende Markenartikel in Shanghai nicht teuer sein - vorausgesetzt, man schaut nicht so genau hin.
Ein Rundgang durch die Geschäfte der Altstadt...

Die deutschen Wurzeln der Tongji-Universität

tongji-klein2
Dass die Tongji-Universität aus einer Fachhochschule für Medizin hervorging, merkt man ihr an ihrer technisch- naturwissenschaftlichen Ausrichtung noch heute an. Neben Bauingenieurwesen, Medizin und Architektur mag das German Department an der Universität geradezu exotisch anmuten. Es sei denn, man weiß, dass es zwei deutsche Ärzte waren, denen die Hochschule ihre Existenz verdankt.
Im Jahr 1899 gründete die deutsche Ärztevereinigung in Shanghai, damals bestehend aus den zwei Mitgliedern Erich Paulun und von Schab, ein kleines Krankenhaus, in dem arme Chinesen behandelt werden sollten. Obwohl das Tung-Chi Hospital an der Fenyang Lu zunächst lediglich aus zwei Wellbleckbaracken bestand, genoss es bei der Bevölkerung schnell einen so guten Ruf, dass durch Spenden bald ein zweistöckiger Bnacksteinbau errichtet werden konnte, der eine Poliklinik und zwölf Krankenzimmer beherbergte.
Nach dem Abriss des Gebäudes 1920 entstand zwischen 1923 und 1927 das neue Paulun-Hospital, das bis heute als Krankenhaus genutzt wird, auch wenn die Fassade bei einem Umbau 1991 komplett verändert wurde.
1907 gründete Erich Paulun am Hospital die “Deutsche Medizinhochschule für Chinesen”, an der viele deutschsprechende Ärzte und deutsche Professoren tätig waren.
Seit 1912 wurden neben Medizin auch die Fächer Maschinenbau und Elektrotechnik gelehrt, die Hochschule in “Tongji Medizin - und Ingenieursschule” umbenannt. Die Zeichen des chinesischen Namens bedeuten soviel wie “gemeinsam in einem Schiff einen Fluss überqueren”, auch das offizielle Siegel der Universität zeigt ein Schiff, das von mehreren Personen gerudert wird.
Nachdem die deutsche Universität ihren Lehrbetrieb während des ersten Weltkriegs hatte einstellen müssen, in welchem die meisten der rund 3.500 in China lebenden Deutschen ausgewiesen worden waren, eröffneten neue deutsche Dozenten und Tongji-Absolventen außerhalb der Innenstadt in Wusong eine neue Hochschule, der 1927 der rang einer Universität verliehen wurde. Die von dem Architekten Erich Oberlein errichteten Gebäude erlitten während des zweiten Weltkrieges jedoch schwere Schäden durch japanische Bomben.
Egon Erwin Kisch beschrieb das Gelände in “China geheim” 1933: “Eine Fliegerbombe wurde in die Maschinenhalle geworfen, aus Schiffsgeschützen ins Physiologische Institut gepfeffert, ins Auditorium Maximum, in die Klinik und in die Dozentengebäude. In der Mitte des Fußballplatzes sind jetzt zum Scherz und dennoch mit deutscher Gründlichkeit alle Granathülsen aufgestellt wie Kegel.”
Nach der Gründung der VR China 1949 wurde die Universität verkleinert, die Medizinwissenschaften kehrten erst in den 90er Jahren an die Tongji zurück.

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